Solardach

(c) LABOR3 Architektur GmbH

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Autobahnen unter Strom: Solarenergie auf der Überholspur

 

Solarenergie ist eine der wichtigsten „grünen“ Energiequellen. Die Stromerzeugung per Photovoltaik (PV) erfordert allerdings viel Raum. Daher bietet es sich an, Flächen mehrfach zu nutzen – und Autobahnen mit PV auszustatten: in Form von Dächern, Belägen und Lärmschutzwänden. Was ist der Stand der Technik? Und wie aussichtsreich ist er? Ein Blick in die Zukunft der Energiegewinnung.

Die Internationale Energieagentur schätzt für die Zeit nach 2060, dass Solarenergie bis zu einem Drittel des globalen Energieverbrauchs decken könnte.1 Auch die Stromversorgung unseres Landes soll in absehbarer Zeit mit Hilfe von PV-Anlagen gesichert werden. Die dafür notwendigen Solarmodule benötigen jedoch mehr Raum, als wir haben. Daher liegt es nahe, bereits bewirtschaftete Flächen zusätzlich durch PV-Anlagen zu nutzen. Zum Beispiel Autobahnen, deren Netz in Deutschland knapp 13.0002 km lang ist – ca. 12.900 km sind vier- oder mehrspurig. Bei einer Breite von ca. 12-15 Metern pro Fahrtrichtung ergibt sich daraus eine Fläche von etwa 337 Quadratkilometern. Dies entspricht etwas mehr als der Stadtfläche von Bremen. Würden diese mit Solarzellen überdacht, ließen sich jährlich 41,5 Terrawattstunden an Strom erzeugen. Das entspräche knapp einem Drittel des elektrischen Energieverbrauchs durch private Haushalte im Vergleichsjahr 2018.

Was sagt die Wissenschaft zur Autobahnüberdachung?

Agrophotovoltaik-Pilotanlage auf dem Gelände der Demeter-Hofgemeinschaft in Heggelbach.

(c) Fraunhofer ISE

Im Rahmen eines deutsch-österreichisch-schweizerischen Forschungsprojektes mit dem Titel „PV-SÜD”, das von März 2020 bis Februar 2023 läuft, soll eine PV-Anlage in Form eines Solardaches konstruiert und getestet werden. Das Projekt basiert auf einer Überdachung der Autobahn mit Mehrfachnutzung der Fläche: Stromerzeugung, Straßenerhalt und Lärmschutz.

Zuerst wird in Zusammenarbeit des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) mit der Forster Industrietechnik GmbH als Konzeptstudie der Prototyp einer solchen PV-Anlage samt geeigneter Module und passender Stützkonstruktion entworfen. Dann sollen die Pläne als Demonstrationsanlage an einem verkehrsintensiven Standort errichtet und mit Messtechnik ausgerüstet werden, u. a. für Temperaturen, Akustik, Vibration und PV-spezifische Daten.

Ob das Konzept tragfähig ist, soll sich zeigen. Innerhalb eines einjährigen Testlaufs wird geprüft, ob die Anlage die Erwartungen in puncto Entwässerung, Wind- und Schneelasten sowie Wartung und Verkehrssicherheit erfüllt. Darüber hinaus wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung im Hinblick auf den erzeugten Strom, den Schutz der Fahrbahndecke sowie ihren Reparaturbedarf und den Verkehrslärm erstellt.

Welche Herausforderungen sind zu meistern?

  • Reinigung
    Auf die Konstrukteure und Forscher kommen viele Aufgaben zu. Ein Problem ist beispielsweise der Reifenabrieb, der nicht mehr vom Regen abgewaschen wird. Dadurch lässt die Griffigkeit der Fahrbahn nach, sodass die Fahrbahndecke dauerhaft aufwendig gereinigt werden müsste.
  • Schatten
    Die Module müssen lichtdurchlässig sein, um die Fahrbahn nicht zu stark zu verdunkeln oder einen Tunneleffekt zu erzeugen. Gleichzeitig dürfen die Übergänge zu unbeschatteten Strecken nicht zu kontrastreich werden. Im Test werden daher teiltransparente Module verwendet, die rund ein Prozent weniger Strom erzeugen als lichtundurchlässige.
  • Stützen
    Die Stützkonstruktion muss nicht nur stabil sein, sondern auch so hoch, dass Schwertransporte darunter herfahren können. Außerdem muss sie Niederschläge sowie hohe Wind- und Sogkräfte ableiten können, korrosionsgeschützt und unfallsicher sein. Schätzungen gehen davon aus, dass eine Gesamtüberdachung der Autobahnen ca. 300 Euro pro Quadratmeter bzw. rund 100 Milliarden Euro kosten wird.

Welche Alternativen gibt es?

1. Alternative: die Fahrbahn

Die Idee, Straßenoberflächen für die Stromerzeugung zu nutzen, ist nicht neu. So gab es bereits Initiativen, bei denen Solarzellen im Straßenbelag verbaut wurden: Unter dem Namen „Wattway“ wurde Ende 2016 eine ca. einen Kilometer lange Pilotstraße als regulärer Teil der Nationalstraße D5 in der Normandie eröffnet. Lkw und Traktoren ramponierten den Straßenbelag allerdings so stark, dass er nicht mehr repariert werden konnte und gekürzt werden musste. Das Tempolimit musste aufgrund der Lärmentwicklung auf 70 km/h gesenkt werden. Zuletzt betrug die erzeugte Strommenge nur noch 13 % des geplanten Umfangs.

China fährt voraus

Die weltweit erste PV-Autobahn wurde im chinesischen Jinan im Dezember 2017 eröffnet. Unter einem transparenten, tragfähigen Material wurden unterirdisch Solarzellen verbaut, die auf einer Fläche von 5.875 Quadratmetern pro Jahr 1 Million Kilowattstunden Strom erzeugen, was den Tagesbedarf von rund 800 Haushalten deckt. Zudem wurden in der Fahrbahn Induktionsspulen verlegt, die später Elektro-Autos beim Fahren per Wireless Charging aufladen sollen. In Zukunft soll die Lösung eine stabile Internetverbindung gewährleisten und die Straße sogar derart aufheizen können, dass Schneeräumfahrzeuge überflüssig werden.

2. Alternative: die Lärmschutzwand

Quelle: R. KOHLHAUER GmbH

Das Beispiel der bayerischen Stadt Neuötting zeigt, dass auch spezielle Lärmschutzwände PV-Strom erzeugen können. Hier entstand 2016 auf 234 Metern Länge eine fünf Meter hohe Lärmschutzwand aus drei Zonen: Auf der unteren Zone ruht das akustisch wirksame Gitterdämmsystem. Die zweite Zone besteht aus 1,50 Meter hohen, durchsichtigen Acrylglas-Elementen. Darüber wiederum, ab ca. 2,80 Metern Höhe, sind auf der sonnenzugewandten Seite zwei PV-Elemente platziert. Diese erzeugen jährlich rd. 51.500 Kilowattstunden Strom, der sogar eine Rendite von vier bis sechs Prozent erwirtschaften soll – bei 15 Prozent Mehrkosten gegenüber einer herkömmlichen Lärmschutzwand.

3. Alternative: Einhausung

Bei einer Erweiterung von vier auf sechs Spuren zwischen Aschaffenburg-Ost und Hösbach wurde die A3 in den Jahren 2001-2005 auf einer Länge von 2.700 Metern eingehaust – also in einen Tunnel verlegt. Grund dafür war der Umstand, dass für Lärmschutzwände kein ausreichender Platz da war.

 

Agri-Photovoltaik – Licht und Schatten

Unter dem Namen „Agri-Photovoltaik” (auch Agrar- oder Agro-PV) wird die Mehrfachnutzung von landwirtschaftlichen Flächen erprobt. Dabei werden PV-Anlagen auf hohen Stelzen über nutzbarem Ackerland errichtet. Sie erzeugen nicht nur Strom, sondern verschatten auch die Anbaufläche und verbessern damit das Bodenklima. Und der Ernteertrag? Steigt! Das bestätigt die Versuchsanlage einer Biobauern-Hofgemeinschaft in Heggelbach am Bodensee.

Wie nutzen wir die Energie?

So vielversprechend die Idee einer Stromerzeugung von PV-Anlagen auf Autobahndächern auch ist, so kompliziert ist die Frage der Verwertung. Denn für Solarstrom von einer Autobahn in öffentlicher Hand fallen energierechtlich gesehen Steuern und Gebühren an, wenn er ins öffentliche Netz eingespeist wird. Dasselbe gilt auch für den Fall, dass der Stromerzeuger und Stromabnehmer nicht identisch sind.

Ausweg aus der Steuerfalle: Oberleitungen

Auch die Eigenstromversorgung ist juristisch komplex. Eine Lösung wäre es, Verkehrswege mit Oberleitungen auszustatten und so Oberleitungs-Lkw eine effiziente Möglichkeit zur Stromnutzung im Güterfernverkehr anzubieten. Das Verfahren wird auf verschiedenen deutschen Autobahn-Streckenabschnitten bereits getestet. Eine aussichtsreiche Option für mehr Klimaschutz im Straßengüterverkehr.

E-Mobilität im Güterverkehr – Oberleitungs-Lkw im Test

Dem Klimapaket der Bundesregierung zufolge soll bis zum Jahr 2030 rund ein Drittel des Güterverkehrs rein elektrisch oder auf Basis strombasierter Kraftstoffe unterwegs sein. Laut einer aktuellen Studie des Ökoinstituts mit Forschungspartnern könnte ein Drittel des Lkw-Fernverkehrs mittels Oberleitung durchgeführt werden, wenn man auf rund 4.000 Kilometern Strecke ein leistungsfähiges Oberleitungssystem für Lkw aufbaut.

Hohe Treibhausgas-Minderung

Fast zwei Drittel des LKW-Fernverkehrs spielt sich auf jenen 4.000 Kilometern ab. Mit diesem Netz würden die direkten Treibhausgas-Emissionen des Straßengüterfernverkehrs jährlich um bis zu 12 Mio. Tonnen CO2 sinken. Ein weiterer Vorteil: Oberleitungs-Lkw erreichen die hohe Energieeffizienz von Elektrofahrzeugen ohne den Nachteil einer CO2-intensiven Herstellung. Die Kosten für den Netzausbau werden auf gut 10-12 Milliarden Euro geschätzt.10

Die größte Konkurrenz: Schienengüterverkehr

Wegen der enormen Infrastrukturinvestitionen, des großen Bedarfs an Ökostrommengen und weil Oberleitungs-Lkw für Teilstrecken ohne Oberleitung weiterhin einen Verbrennungsmotor brauchen, halten Schienen-Interessenverbände das Konzept von Oberleitungs-Lkw für klimapolitisch fragwürdig. Viele Fragen sind hier noch offen, zum Beispiel wie die Oberleitungen bei verschiedenen Witterungen funktionieren oder wie europäische Standards für Maße und Höhen aussehen könnten. Ob sich ein Ausbau lohnt, wird derzeit in mehreren Pilotprojekten getestet: neben Autobahnabschnitten auf der A1 bei Lübeck und der A 5 bei Langen/Mörfelden (Hessen) nun auch auf einer stark befahrenen Straße im Schwarzwald, der B 462 im Murgtal bei Gaggenau (Baden-Württemberg).

Fazit: Die Energiewende setzt zum Überholen an

SolarenergieKeine Energiequelle allein reicht aus für unseren Bedarf. Und keine Idee zur Energieerzeugung oder -einsparung ist von vornherein überflüssig. Es braucht noch intensive Forschungsarbeit, um die Vor- und Nachteile jedes einzelnen Konzepts zu identifizieren, auszuwerten und gegeneinander abzuwägen. Ob die Stromerzeugung per Photovoltaik auf Solardächern über Autobahnen im Energiemix der Zukunft eine große Rolle spielen wird, muss sich noch erweisen.

Was ihr selbst im Rahmen eures Energieverbrauchs zur Unterstützung der Energiewende tun könnt, dazu erfahrt ihr mehr in unserem Post „Wege in die Elektrifizierung“.

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2 Kommentare

Uniqueline Holzbau

Das wäre ein cooler Wunsch dies so zu machen. die Schwierigkeiten sehe ich viel mehr in den Witterungseinflüssen. So ein Orkan wie Lothar oder Wiebke werfen den Überbau in die Botanik.

Ralf

Sollte eigentlich kein Problem sein, ist ja nix anderes wie ein Riesen Carport mit Photovoltaik darauf.
Einzig, es müsste einen politischen Willen dazu geben. In eine entsprechende AG würde ich sofort investieren.

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