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Rigs-to-Reefs – Stillgelegte Offshore-Bohrinseln als Chance für neue Korallenriffe

 

Riesige Stahltürme, die aus dem Meer ragen: Wir alle kennen die Bilder von Offshore-Plattformen, die zur Förderung von Erdöl und -gas genutzt werden. Am Golf von Mexiko, an der US-Küste, verwandeln sich die riesigen Stahlkonstruktionen nach ihrem Einsatz zu neuen Ökosystemen unter der Meeresoberfläche.

Taucher im künstlichen KorallenriffWeltweit gibt es tausende Erdöl- und Gasplattformen im Ozean – allein in der Nordsee stehen 450. Wenn die Offshore-Anlagen zu wenig Brennstoff fördern, um für ihre Betreiber rentabel zu bleiben oder die Reserven an fossilen Brennstoffen unter dem Meer ausgeschöpft sind, folgt die Stilllegung. In den USA werden einige dieser Skelette der einstigen Plattformen aber nicht vollständig abgebaut, sondern dienen fortan als Lebensraum für Meerestiere.

1984 unterzeichnete der US-Kongress Pläne für die Umwandlung stillgelegter Bohrinseln in künstliche Korallenriffe – den National Fishing Enhancement Act. Seitdem haben die US-Küstenstaaten am Golf von Mexiko – Alabama, Florida, Louisiana, Mississippi und Texas – über das sogenannte Rigs-to-Reefs-Programm (auf Deutsch: Bohrinsel zu Riff) bereits mehr als 558 Öl- und Gasplattformen in künstliche Riffe umgewandelt.

Attraktiver Lebensraum

Neuer Lebensraum für KorallenOffshore-Bohrinseln wie die Plattform Holly vor der kalifornischen Küste, wo es von Fischen und anderen Wildtieren nur so wimmelt, gehören zu den reichhaltigsten von Menschenhand geschaffenen Meereslebensräumen der Welt. „Denn die einstigen Bohrinseln bieten das ideale Skelett für Korallenriffe“, schreibt Meeresbiologe Milton Lowe, der seit 20 Jahren die Fischpopulationen in der Umgebung von Öl- und Gasplattformen in Kalifornien untersucht.

Der wahrscheinlich größte Vorteil: Die Größe der Stahl-Konstrukte. Vom Grund des Meeres bis hin zur Oberfläche erstreckt sich beispielsweise die Harmony-Plattform im Santa-Barbara-Kanal über ganze 365 Meter. Zum Vergleich, der Eiffelturm misst 300 Meter. Eine solche Dimension, die man in offenen Gewässern nur selten findet, bietet der Meeresfauna Nahrung, Schutz vor Raubtieren und einen sicheren Brutplatz.

Junge Fische leben meist in seichten Gewässern und verlassen ihren Lebensraum, wenn sie ausgewachsen sind, Richtung offenes Meer. Schwärme, die an künstlichen Plattform-Riffen leben, können mit zunehmendem Alter und Größe einfach die Stahlkonstruktion hinunterwandern und sind damit nie besonders weit von ihrem Zufluchtsort entfernt. Große und ausgewachsene Tiere leben in der Tiefe, am Grund der Stahlskelette.

Künstliche Riffe bieten einen neuen Lebensraum, der das Meeresleben unterstützt. Laut Coastal Marine Institute bietet ein typisches achtbeiniges Konstrukt 12.000 bis 14.000 Fischen ein Zuhause.

Wie funktioniert Rigs-to-Reefs?

Korallen auf StahlgerüstBevor aus den Bohrinseln ein künstliches Riff entstehen kann, werden alle Teile, die sich oberhalb der Wasseroberfläche befinden, entfernt. Diese werden an Land gebracht, dort recycelt oder wiederverwendet. Im Wasser verbleibt meist nur das Stahlskelett. Sobald es von Kohlenwasserstoffen und anderen gefährlichen Materialien befreit wurde, ist es als permanentes Riff nutzbar. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die gereinigten Plattformen als neues Ökosystem für Korallen vorzubereiten – entscheidend hierfür ist der für das künstliche Riff vorgesehene Standort.

Soll am selben Ort ein neuer Lebensraum für die Meeresbewohner entstehen, gibt es zwei Möglichkeiten: Das Kürzen der Unterkonstruktion auf eine für die Schifffahrt zulässige Tiefe (26 Meter) oder sie vom Grund zu trennen und auf die Seite gekippt abzulassen. Wenn aber das künstliche Riff an einem anderen Platz entstehen soll, wird die einstige Bohrinsel versetzt. Sie wird vom Meeresboden getrennt, per Boot zum ausgewählten Riff geschleppt und dort abgelegt.

Korallenriffe als Zukunft für ausgediente Plattformen?

BohrinselFür die Umwelt bedeutet die Wiederverwendung veralteter Bohrinseln eine Einsparung von Treibstoffemissionen, die sonst für den Transport und die Entsorgung der Plattformen anfallen würden. Das Rigs-to-Reefs-Programm bereichert die Meeresfauna in dem betreffenden Gebiet. Doch nicht jede Plattform kann umfunktioniert werden: Größe, Materialqualität und der Standort der Plattform sind wichtige Faktoren bei der Bewertung ihres Riffpotenzials. Gute Chancen auf Wiederverwendung haben stabile, dauerhafte und saubere Plattformen. Offshore-Anlagen, die aufgrund baulicher Mängel umgestürzt sind, kommen für künstliche Riffe nicht in Frage.

Ähnliche Programme wie Rigs-to-Reefs gibt es außer in den USA auch in Malaysia und Brunei. Die Paris-Oslo-Kommission (OSPAR), die für die Erschließung der Nordsee zuständig ist, spricht sich seit 1998 gegen die Verwendung der ausgedienten Bohrinseln als künstliche Korallenriffe aus. Dies war eine Konsequenz aus dem Konflikt um die von Greenpeace besetzte Ölplattform Brent Spar, die das Mineralöl- und Erdgasunternehmen Shell Mitte der 90er-Jahre in der Nordsee versenken wollte. In Europa müssen daher ausgediente Offshore-Anlagen vollständig demontiert und an Land entsorgt werden. Allerdings belegen neueste wissenschaftliche Studien wieder, dass künstliche Riffe für einige Arten, einschließlich bedrohter Kaltwasserkorallen, von Vorteil sein können.

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