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Sankt Martin: Warum wir Rituale brauchen

 

Laternenzug zu Sankt Martin, Plätzchen backen in der Adventszeit, die Christmette an Heiligabend – zahlreiche Rituale begleiten uns durch Herbst und Winter. Aus Sicht der Forschung erfüllen die festen Abläufe im Alltag vielfältige Funktionen.

Milla ist vier und geht in den Kindergarten. Ihr Abendritual ist ihr heilig: Um sieben Uhr geht sie ins Badezimmer und putzt sich die Zähne. Danach kämmt Papa Milla die Haare und sie legen zusammen die Kleidung für den nächsten Tag raus. Wenn sie im Bett liegt, liest er ihr immer noch etwas vor: Am liebsten mag Milla Märchen. Und wehe, Papa greift aus Versehen mal zum falschen Buch!

Was auf Erwachsene wie ein niedliches Abendritual wirkt, ist für Kinder von elementarer Bedeutung. Rituale geben ihnen Geborgenheit und fördern den familiären Zusammenhalt. Gleichzeitig lernen sie spielerisch, sich gemäß gesellschaftlicher Normen zu verhalten: So werden Kinder beispielsweise von klein auf an kulturelle Gepflogenheiten wie die tägliche Körperpflege gewöhnt. Dass es hierzulande üblich ist, sich mehrmals täglich die Zähne zu putzen, weiß jeder Vierjährige.

Was Rituale bewirken

Rituale sind viel mehr als nur ein Werkzeug zur Sozialisation. „Rituale haben unterschiedliche Funktionen“, erklärt Psychologin Dr. Meike Watzlawik. Sie entwickeln sich meist, um soziale Gruppen zu stabilisieren und Situationen zu bewältigen wie beispielsweise Beerdigungszeremonien. „Ein Ritual gibt Menschen ein Gefühl von Kontrolle über eine eigentlich unkontrollierbare Situation. Dazu gehören beispielsweise das Mitführen von Glücksbringern in Prüfungen.“ Es entsteht ein Gefühl von Sicherheit, wo eigentlich nur noch eins helfen kann: Glück. „Menschen versuchen mit ritualisierten Handlungen, Einfluss auf Situationen zu nehmen, die eigentlich außerhalb ihres Einflussbereichs liegen.“ Dabei hilft das Plüschschweinchen, aber eben auch Gebete, falls der Betroffene religiös ist.

Was Rituale ausmacht

Was ist ein Ritual eigentlich? Professor Axel Michaels, Indologe und ehemaliger Sprecher des Forschungsbereichs Ritualdynamik an der Universität Heidelberg, definiert es wie folgt: „Ein Ritual unterscheidet sich von normalen Handlungen durch eine übergeordnete, spirituelle Komponente und einen außeralltäglichen Aspekt: Festgelegte Abläufe werden wiederholt, die nur wenig Spielraum für Veränderung lassen.“ Wie beispielsweise das Weihnachtsfest: Wir essen Plätzchen, gehen in die Messe, sitzen unter dem Tannenbaum, singen gemeinsam und beschenken uns. An Weihnachten verbringt die Familie Zeit miteinander – und dabei ist es inzwischen für viele zweitrangig, ob die Beteiligten nun Christi Geburt feiern, oder einfach nur noch das Fest als solches. Längst hat sich Weihnachten zu einem sehr weltlichen Event gewandelt.

Woher das Ritual des Martinslaternenumzugs kommt

Laternenzug„Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…“ – dieses Lied ist am 11. November in ganz Deutschland zu hören. Doch was feiern wir bei den Martinsumzügen? Wir gedenken des heiligen Martins von Tours, der als römischer Soldat seinen Mantel teilte und eine Hälfte einem frierenden Bettler schenkte. Am 11. November 397 wurde Martin als Bischof von Tours beerdigt. Der Martinstag gilt seither als Tag der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. Der Martinstag läuft in ganz Deutschland ähnlich ab: Neben der Inszenierung dieser Geschichte begleiten Laternen einen Umzug. Das Ritual geht auf die Lichterprozessionen und Martinsfeuer zurück, die in der christlichen Symbolik eine wichtige Rolle spielen. Die größten Umzüge mit bis zu 8.000 Teilnehmern finden unter anderem in Kempen und Essen statt. Anschließend gibt es – je nach Region – verschiedene Arten von Gebäck oder auch eine Martinsgans.

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