Bezahlbar und grün: Sektorenkopplung im Eigenheim
Lange wurden Stromversorgung, Wärmeerzeugung und Verkehr getrennt betrachtet. Ein Fehler: Denn wenn sie intelligent miteinander verknüpft und geplant werden, entsteht ein bezahlbares, sicheres und grünes Energiesystem. Sektorenkopplung lautet das Stichwort.
Antje Weeger, technische Vertriebsingenieurin im Vaillant Kundenforum in Nürnberg, und ihr Mann haben sich 2018 einen Traum erfüllt: ein Haus mit Garten. Der ansehnliche Bau im fränkischen Petersaurach umfasst 154 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf zwei Kinder-, ein Gäste- und ein Arbeitszimmer sowie einen großen Wohn-und-Ess-Bereich. Der eigentliche Clou der vier Wände verbirgt sich jedoch im Heizungsraum. Hier, auf zehn Quadratmetern, ist in einem System alles miteinander vernetzt, was irgendwie Energie benötigt: vom Backofen in der Küche über den Akku-Rasenmäher im Gartenhaus und das Elektroauto vor der Tür bis hin zur Wärmepumpe und zum Warmwasserspeicher.
Alles miteinander vernetzt
Sektorenkopplung nennen Experten so etwas. Gemeint ist damit, dass die Energie über alle Anwendungsbereiche (Sektoren) hinweg aus einer Hand und aufeinander abgestimmt erzeugt und verteilt wird, statt wie bisher üblich isoliert bereitgestellt wird – also Strom für Elektrogeräte, Gas für Heizung und Warmwasser, Benzin für die Fortbewegung und den Rasenmäher. Die Weegers leben vor, was für das Gelingen der Energiewende und für eine CO2– neutrale Zukunft Voraussetzung ist: den Betrieb eines Energiesystems, das ganz auf erneuerbaren und unerschöpflichen Quellen wie Wind und Sonne fußt. Das dennoch bezahlbar und sicher ist. Das Europa aus seiner Abhängigkeit von Kohle-, Erdgas und Erdölimporten erlöst.
Dänemark als Vorbild
Spätestens im Jahr 2050 soll die Klimaneutralität erreicht sein. Darauf haben sich die Mitgliedstaaten der EU geeinigt und schwören nun Wirtschaft und Bürger auf ein nachfossiles Zeitalter ein. Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Wohnungsbau – alle Sektoren müssen den Ausstoß von Treibhausgasen Jahr für Jahr deutlich reduzieren, um das Ziel zu erreichen. Energieexperten fordern schon lange ein abgestimmtes Vorgehen. Ein integriertes Energiesystem ist nach Überzeugung von Forschern des Energiewissenschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) zudem der beste Weg, die volkswirtschaftlichen Umbaukosten zu begrenzen.
Was aber ist die richtige, kostensparende Vorgehensweise? Antworten liefert der Blick nach Norden, zu den Dänen. Sie sind uns in Sachen Energiewende weit voraus – nicht zuletzt wegen der Sektorenkopplung. Fast 70 Prozent des Stroms in Dänemark stammen schon aus erneuerbaren Quellen, vor allem der Windkraft. Bezogen auf den gesamten Energieverbrauch machen die Erneuerbaren rund ein Drittel aus. Das ist etwa doppelt so viel wie in Deutschland. Die Hauptstadt Kopenhagen will schon 2030 CO2-neutral sein.
Das Haus der Weegers im fränkischen Petersaurach ist nicht mit dem Energiesystem eines ganzen Landes vergleichbar. Und doch finden sich viele Parallelen. Wichtigster Schritt auf dem Weg der Weegers in eine CO2-ärmere Zukunft war: Sie haben die Erzeugung von Strom und Wärme miteinander verheiratet. Dazu installierten sie auf dem Dach eine Photovoltaikanlage; neun Solarmodule sind gen Osten, neun gen Westen ausgerichtet. Die Anlage leistet in der Spitze 5,3 Kilowatt, was in etwa dem Stromanschluss eines durchschnittlichen Haushalts entspricht. Sie erzeugt den Strom sowohl für alle Haushalts- und Gartengeräte als auch für die Wallbox, mit der die Familie die Akkus des elektrischen Opel Corsa auflädt. Vor allem aber liefert die Photovoltaik auch den Strom, den es braucht, um Wärme zu erzeugen, und zwar mithilfe einer Wärmepumpe. Der mannshohe Kasten im Heizungsraum mit Außeneinheit an der seitlichen Hauswand entzieht der Luft unablässig Wärme. Diese versorgt den 180 Liter fassenden Pufferspeicher im Heizungsraum und sorgt über die Fußbodenheizung im gesamten Haus für wohlige Temperaturen. Und im Sommer bringt die Anlage Kühle ins Eigenheim. Das Tüpfelchen auf dem i bei Weegers privater Energiewende ist ein Stromspeicher, der ebenfalls im Heizungsraum untergebracht ist. Die Großbatterie ist zugleich eine Art Steuerzentrale. Sie holt sich zum Beispiel die Wettervorhersage aus dem Internet und sammelt schon mal Strom von der Photovoltaikanlage, wenn absehbar ist, dass sich im Laufe des Tages dicke Wolken vor die Sonne schieben. Den gespeicherten Strom gibt die Batterie dann ab, wenn die Solarzellen nicht mehr liefern, also auch abends und nachts.
Die Waschmaschine läuft nur tagsüber
Auf diese Weise geht fast beiläufig ein weiterer Traum in Erfüllung, den viele Eigenheimbesitzer hegen, nämlich energetisch autark zu sein. „Bislang haben wir immer mehr Strom erzeugt, als wir verbraucht haben“, sagt Antje Weeger. Lediglich in den Monaten November bis Februar hätten sie und ihre Familie Strom aus dem öffentlichen Netz zukaufen müssen, natürlich grünen. Ein integriertes Energiesystem wird in Zukunft also verschiedene Energiequellen und Energieträger miteinander verbinden. Auf den ersten Blick mögen die Investitionen in den Umbau der Energiesysteme hoch erscheinen, doch unterm Strich zahlen sie sich aus. Die Wasch- und die Geschirrspülmaschine beispielsweise laufen nur tagsüber, also wenn die Photovoltaikanlage Strom produziert. „Mit Blick auf die steigenden Strompreise“, sagt Antje Weeger, „wird sich die Wirtschaftlichkeit unserer Sektorenkopplung sicher weiter erhöhen.“