Durch Hydrothermale Karbonisierung (HTC) hergestellte Biokohle, (c) Universität Hohenheim

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Heute Kartoffelschale, morgen Kohleersatz?

 

Unsere Vorräte an Kohle und Erdöl gehen zur Neige. Und damit die Ausgangsstoffe zur Herstellung von Kunststoffen, Farbstoffen und unzähligen Materialien. Was kommt danach? Forscher der Uni Hohenheim in Stuttgart haben komplexe Verfahren entwickelt, um aus Bioabfällen moderne, hoch entwickelte Materialien herstellen zu können.

Kohle ist durch Karbonisierung von abgestorbenen Pflanzen entstanden, die in tiefen Erdschichten hohen Drücken und Temperaturen ausgesetzt waren. Und Erdöl? Ist ebenfalls durch die Umwandlung organischer Stoffe entstanden. Was in der Natur viele Millionen Jahre dauerte, hat das Team um Forschungsleiterin Prof. Dr. Andrea Kruse im Projekt „Green Carbon“ nicht nur nachzuahmen versucht, sondern auch zu beschleunigen. Und das mit dem Ziel, die Prozesse aus dem Labormaßstab auch im großen, industriellen Maßstab anwenden zu können.

Erneuerbare Ressourcen sollen Kohle und Erdöl ersetzen

Prof. Dr. Andrea Kruse, Forschungsleiterin, (c) Universität Hohenheim

Die Aussichten sind verlockend. Denn wenn es gelingt, pflanzliche Abfälle zu Kohlenstoff-Materialien zu karbonisieren, könnten Kohle und Erdöl künftig in etlichen Anwendungsbereichen durch erneuerbare Ressourcen ersetzt werden. Vorausgesetzt, die Biomasse ist einerseits einfach zu synthetisieren und kostengünstig, erfüllt andererseits aber auch spezifische Anforderungen. Und genau diese Anforderungen versuchen die Forscher durch die Entwicklung komplexer Verkohlungsprozesse zu erfüllen:

Pyrolyse-Verfahren für Heu, Holz oder Stroh

  • Bei der Pyrolyse wird das Ausgangsmaterial unter Sauerstoffabschluss und hohen Temperaturen verkohlt – ähnlich wie in einem Holzkohlemeiler. Es eignet sich für Biomassen mit weniger als zehn Prozent Wassergehalt.

Hydrothermale Karbonisierung (HTC) für Gemüseblätter, Schalen und Gärreste

  • Bei der hydrothermalen Karbonisierung werden feuchte Biomassen, die zu 80 bis 90 Prozent aus Wasser bestehen, bei Temperaturen zwischen 180 und 250 Grad Celsius unter leicht erhöhtem Druck – ähnlich einem Schnellkochtopf – in Kohlenstoffnanostrukturen mit interessanten Eigenschaften umgewandelt.

Diese sogenannten „Hydrokohlen“ können zur Reinigung von Luft, Gasen oder (Ab-) Wasser genutzt werden, als Speichermedium für Wasserstoff oder als Elektrodenmaterialien für Batterien und Brennstoffzellen oder Superkondensatoren, wie sie unter anderem für die Herstellung von E-Autos benötigt werden. Allerdings erfordern die verschiedenen Anwendungen auch unterschiedliche Eigenschaften der Hydrokohlen. Ein Beispiel: Für die Nutzung als Brennstoff soll der Asche- und Stickstoffgehalt im Sinne des Umweltschutzes möglichst niedrig sein – bei einem Einsatz als Langzeitdünger ist ein hoher Mineralien- und Stickstoffgehalt wiederum wünschenswert.

Das richtige Verfahren für das gewünschte Produkt finden

Forschungsziel – Kohle und Erdäl durch Biomasse zu ersetzen, (c) Universität Hohenheim

Bisher sind die chemischen Prozesse der Verfahren und ihr Einfluss auf die Produkteigenschaften nicht genau bekannt – was die gezielte Herstellung von Materialien mit definierten Eigenschaften erschwert. Deswegen hat das Forscherteam rund um Frau Prof. Dr. Kruse nicht nur untersucht, welchen Einfluss welche Stellgröße auf das Ergebnis hat. Es hat zudem ein neuartiges Verfahren entwickelt, das zeigt, dass der Prozess so gesteuert werden kann, dass die genutzte Biomasse das Endprodukt kaum beeinflusst.

So konnten sowohl im Labor- als auch im Pilotanlagenmaßstab bereits zahlreiche Experimente in Hohenheim und im Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP) in Leuna, einem der Projektpartner, durchgeführt werden, um die optimalen Betriebsbedingungen hinsichtlich der Energieeffizienz sowie der Eigenschaften der hergestellten Hydrokohlen zu ermitteln.


Hintergrund: Das Projekt GreenCarbon

GreenCarbon ist ein internationaler Forschungsverbund. Unter der Leitung der Universität von Saragossa haben acht Forschungsinstitute und sieben Industriepartner von Oktober 2016 bis Ende September 2020 alle Aspekte der Herstellung von maßgeschneiderten Kohlenstoffmaterialien untersucht – vom Ausgangsmaterial über dessen Verarbeitung bis hin zu den Anwendungsoptionen. Die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Technologien sollen die Entwicklung kommerzieller Produkte auf Kohlenstoff-Basis ermöglichen. Die Europäische Union hat das Projekt GreenCarbon mit über 3,5 Mio. Euro gefördert.

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