Was bleibt vom Fasten?
Wie jedes Jahr haben wir zwischen Aschermittwoch und Ostersamstag gefastet. Doch in diesem Jahr fragen wir uns: Was ist von diesem Verzicht wirklich nachhaltig in unser Leben eingezogen? Marcus, Julia, Jacqueline und Vanessa ziehen eine Bilanz.
Viele Menschen nutzen die Fastenzeit, um mit unliebsamen Gewohnheiten zu brechen – kein Alkohol, keine Süßigkeiten, keine Chips, kein Fernsehen. Die Liste ist endlos, die Fastende sind wahrlich fantasievoll. Doch sobald die Fastenzeit vorbei ist, schleicht sich heimlich still und leise der alte Schlendrian wieder ein. Oder? Dem widerspricht unsere Kollegin Jacqueline. Sie hat in der Fastenzeit auf das Auto verzichtet: „Auch jetzt, drei Monate nach der Fastenzeit, lasse ich das Auto bewusst öfter stehen und nutze die neu entdeckten Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen“, erzählt sie. Damit hat sie sogar noch andere angesteckt: „Auch mein Partner konnte mehr und mehr von der Idee überzeugt werden, sodass wir nun gemeinsam oft auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen oder kürzere Strecken auch gleich direkt zu Fuß gehen“, freut sich unsere Blog-Chefin. Aber einfach war es trotzdem nicht: „Die größte Herausforderung bestand anfangs für mich darin, den Alltag ohne Auto neu zu strukturieren. Für gewohnte Tagesabläufe wie „um 18:00 Uhr fahre ich zum Tanzen“ bedurfte es plötzlich einer größeren Planung. Nachdem sich die Bus- und Bahnverbindungen aber schnell in meinem Kopf verankerten hatten und der Mehraufwand eine Zeit fest eingeplant war, war es einfacher als gedacht, das Auto im Parkhaus stehen zu lassen.“
Damit hat Jacqueline etwas geschafft, was nur wenigen gelingt: eine langfristige Umstellung einer eingeschliffenen Gewohnheit. Das fällt schwer. Davon können auch Vanessa und Marcus ein Lied singen. Vanessa hatte in der Fastenzeit den Zucker aus ihrem Leben gestrichen. „Ich stelle fest: Es ist gar nicht so einfach eine zuckerfreie Ernährung in seinen Lebensalltag einziehen zu lassen“, erzählt Vanessa. „Ab und zu denke ich daran – dann erwische ich mich doch wieder dabei, wie ich das Nutellaglas auslöffle.“ Marcus lacht – er kennt das Problem nur zu gut. Er hatte komplett auf Kohlehydrate verzichtet: „Ich habe bestimmt einiges gelernt – zum Beispiel im Hinblick auf gesunde Ernährung, Disziplin und maßvolles Essverhalten. Aber tatsächlich bin ich wohl eher der klassische Jojo-Typ. Ich kann zwar gut Verzichten und bin dann auch sehr diszipliniert… aber Maß halten ist nicht so mein Ding. Mit Blick auf die Tennissaison, die jetzt wieder beginnt, sollte ich direkt mit der nächsten Fastenzeit beginnen. Aber gerade machen unsere Lieblingsrestaurants wieder auf, und die möchten meine Familie und ich natürlich unterstützen, selbstverständlich damit, dass wir mehr als vorher bestellen. Und uneigennützig, wie ich bin, helfe ich natürlich allen, ihren Teller blitzeblank zu hinterlassen“, schmunzelt er.
Wie jetzt? Marcus spricht gleich mehrere Dinge an, die uns den Verzicht so schwer werden lassen: unser eigener Körper und unsere soziale Rolle. Der eigene Körper wehrt sich mit Händen und Füßen gegen jede Form der Veränderung. Tief in uns drin sind wir Steinzeitmenschen – alles, woran der Körper nicht gewohnt ist, lehnt er erst einmal konsequent ab. Es könnte ja zum eigenen Untergang führen. Auch wenn unser Verstand längst weiß, dass wir in der westlichen Welt in einer Überflussgesellschaft leben, in der der Körper nicht mehr sonderlich gefordert ist. Das will der Körper trotzdem nicht so recht glauben. Den Verzicht aufs geliebte Stück Schokolade bestraft er mit Heißhunger und schlechter Laune, die Extraeinheit Laufen mit dem Muskelkater des Lebens. Wenigstens evolutionsbiologisch gesehen sind wir auf Minimalismus gepolt.
Und dann gibt es ja auch noch unser soziales Umfeld, das mindestens genauso veränderungsavers ist wie unser eigener Körper. Die Fastenzeit wird gemeinhin noch als Zeitraum des Verzichts akzeptiert. Alles darüber Hinausgehende wird kritisch beäugt, beobachtet und nicht immer ganz passend kommentiert. Soziale Kontrolle nimmt häufig Einfluss auf die Konsequenz, mit welcher Menschen Veränderungen durchziehen. Schließlich kann strenger Verzicht das eigene Sozialleben ganz schön durcheinanderbringen. Davon kann Julia ein Lied singen, bei der kuschelige Fernsehabende mit ihrem Freund das bevorzugte Entspannungsritual waren. Sie hat daraufhin das Fernsehen verzichtet: „Ich gebe es zu: Ich bin ein Serienjunkie! Fernsehen ist nach langen Arbeits- und Uni-Tagen so herrlich einfach – und das ist auch der Grund, warum es für mich eine Herausforderung war. Ohne Fernsehen ist man gefordert, den Abend viel aktiver und bewusster zu gestalten“, erzählt Julia. „Diese bewusste Gestaltung meiner Abende ist letztlich auch das, was ich in meinen Alltag versuche zu integrieren.“ Am Ende der Fastenzeit hat sie deshalb geschaut, was bleiben darf und was dauerhaft gehen muss: „Natürlich schaue ich dann und wann wieder Fernsehen. Auf Filmabende mit meinem Freund wollte ich nicht auf Dauer verzichten, aber wenn ich allein bin lasse ich den Fernseher jetzt aus. Ich versuche, jeden Abend aktiv zu entscheiden, wie ich meine Freizeit verbringen möchte. Wirkliche Tricks nutze ich nicht – allerdings habe ich eines unserer Streaming-Dienst Abos gekündigt. Das Geld geht nun stattdessen an einen E-Book-Verleih, bei dem ich so eine Art Bücher-Flatrate habe. Das ist eine tolle Alternative, mit der meine Lust aufs Fernsehen von allein verpufft.“
Julia spricht zwei elementare Bausteine langfristiger Veränderung an: Kompromissfähigkeit und die kleinen Schritte. Damit eine Veränderung langfristig tragbar ist, muss sie sowohl für die eigene Person als auch für das soziale Umfeld „verdaulich“ sein. Hau-Ruck-Aktionen gelingen nur Menschen mit überdurchschnittlicher Disziplin und unterdurchschnittlichem Harmoniebedürfnis. Wer etwas verändern will, der eckt an – so oder so. Aber die Menge macht’s. Kleine Schritte strafen der eigene Körper und der Freundeskreis deutlich geringer ab als Palastrevolutionen. Diese Taktik hat auch Vanessa für sich entdeckt: „Seit der Fastenzeit versuche ich zumindest, auf übermäßigen Zuckerkonsum zu verzichten. Dazu zählen für mich Lebensmittel, die zusätzlichen Zucker enthalten, wie zum Beispiel mein heißgeliebtes Nutella, Fertiggerichte und -soßen, Säfte, Gurken aus dem Glas. Der Zucker im Kaffee wird durch Honig oder Agavendicksaft ersetzt – und auf das saftige Stück Kuchen oder ein (oder zwei) Rocher zum Kaffee verzichte ich von nun an jedes zweite Mal – wenn ich daran denke.“ Und wenn es dann doch mal mehr geworden ist? Vanessa ist entspannt: „Meine Devise: Dann lass es die nächsten Tage mal weg.“ Gelassenheit, Kompromissfähigkeit und der Glaube daran, dass viele kleine Schritte ebenfalls zum Ziel führen, sind die wichtigsten Lehren unserer Fastenden. Nicht alles muss heute oder morgen dauerhaft umgesetzt werden. Schon allein die Bewusstseinsveränderung, die aus einem missglückten Fastenversuch entstehen kann, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Das kann Vanessa bestätigen: „Ich nehme für mich dennoch etwas Positives mit, denn ich habe durch das Fasten mehr Bewusstsein für einen mäßigen Zuckerkonsum geschaffen“, resümiert Vanessa ihre Fastenzeit.
Die ultimative Devise gibt Marcus allen Fastenbrechern mit auf den Weg: „Hin und wieder gibt es auch mal Wichtigeres als Disziplin – zum Beispiel füreinander da zu sein… das macht auch mehr Spaß als diszipliniertes Fasten.“ In diesem Sinne: Bleibt gelassen und bleibt gesund!
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