Fahrradfahrer Glückstour
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„Das Helfen darf nicht aufhören!“

 

Seit 2006 finden sich Schornsteinfeger und Mitstreiter einmal jährlich zur Glückstour zusammen, um gemeinsam im Sattel hunderte Kilometer durch Deutschland zurückzulegen. Das Ziel: Spenden sammeln für krebs- und schwerkranke Kinder. Auf ihren sieben Etappen treffen Sie Unterstützer und zu Unterstützende, besuchen lokale Hilfseinrichtungen und schüren deutschlandweit Aufmerksamkeit für ihr Anliegen. Organisator Ralf Heibrok hat die Glückstour 2005 mit ins Leben gerufen und seitdem kein Jahr versäumt, für den guten Zweck Spender und Radfahrer zu mobilisieren. Im Interview erzählt er uns, wie die Glückstour die neuen Herausforderungen der Pandemie meistert und wie viel unsichtbare Vorbereitung die Tour erfordert.

21grad: Herr Heibrok, die Glückstour wurde wie die meisten Veranstaltungen mit großen Menschenansammlungen vergangenes Jahr aufgrund der Corona-Pandemie vor neue Herausforderungen gestellt. Die 15. Glückstour drohte ersatzlos auszufallen. Wie haben Sie das Problem gelöst?

SchornsteinfegerLeider zeichnete sich im Frühjahr 2020 ab, dass es unmöglich sein würde, im großen Peloton durch Deutschland zu fahren, überall Menschen zu treffen und Firmenspenden entgegen zu nehmen. Und ganz geschweige davon Krankenstationen zu besuchen. Andererseits wollten wir aber nicht einfach ein Jahr Pause machen, denn der Krebs macht auch keine Pause. Die Hilfe, die an vielen Stellen benötigt wird, wird auch durch einen Lockdown nicht weniger. Durch fehlende Besuchsmöglichkeiten wird sie häufig sogar mehr. Daher brauchten wir für die zum Großteil bereits organisierte Fahrradtour plötzlich ein neues Konzept. Darum haben wir uns entschieden, die Glückstour online stattfinden zu lassen. Dafür haben sich die Institutionen, die von uns in diesem Jahr mit Spenden bedacht werden sollten, mit kurzen Filmen auf unserer Webseite und Social-Media-Kanälen vorgestellt – immer ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem wir bei den jeweiligen Einrichtungen vor Ort angekommen wären. Außerdem konnten sich auch die Spendengeber online vorstellen und ihre persönliche Geschichte erzählen. So konnte jeder die Tour virtuell nachempfinden und sowohl mit den zu unterstützenden Einrichtungen als auch den Spendern in Kontakt kommen – auch ohne persönlich dabei zu sein.

21grad: Wie gut hat das funktioniert?

Das war zwar alles sehr neu für uns, aber ich würde sagen, es hat gut geklappt! Wir hatten schließlich auch gar keine andere Möglichkeit, denn das Helfen darf nicht aufhören. Dazu stand am Ende mit 229.000 Euro auch ein neuer Spendenrekord! Wenn man noch ein weiteres positives Fazit ziehen möchte: Von der Digitalisierung der Glückstour haben auch unsere Social-Media-Kanäle profitiert. So konnten wir die Reichweite der Glückstour noch einmal deutlich vergrößern. Dennoch war die virtuelle Fahrt in dieser Form irgendwie unvollständig und bleibt hoffentlich eine einmalige Notlösung. Denn die soziale Nähe, die wir jedes Jahr auf der Tour erleben, die fehlte doch sehr. Die Menschen vor Ort zu besuchen, sich von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten und auch einfach mal jemanden in den Arm nehmen – das alles kann kein Computer ersetzen. Darum sind wir alle sehr froh, wenn wir dieses Jahr wieder gemeinsam im Sattel sitzen können.

21grad: Für dieses Jahr sieht es ja gut aus, dass wieder vereint gefahren werden kann. Was haben Sie für die 16. Glückstour geplant?

Begrüßung RadfahrerDieses Jahr fahren wir von Dietmannsried bei Kempten unter anderem über Stuttgart, Heidelberg, Kaiserslautern und Trier zum Bundesverband der Schornsteinfeger nach Mainz. Das sind sieben Etappen mit einer Distanz von 72 bis zu 119 Kilometern. Wir haben wieder viele Mitfahrer und auch die finanzielle Unterstützung von Unternehmen und Privatpersonen ist auch in diesem Jahr ungebrochen. Das freut uns sehr, denn wir haben allein in diesem Jahr schon 50 Institutionen, die von uns bedacht werden. Dazu kommen noch die vielen Einzelprojekte. Auch Vaillant ist schon lange als Unterstützer und Förderer dabei – einige Mitarbeiter sind bereits mitgeradelt.

21grad: Im Schnitt rund 100 Kilometer für sieben Tage – das klingt nach einer konditionellen Herausforderung.

Die eine Woche Fahrrad fahren kommt mir manchmal wie das Leichteste auf der Welt vor. Denn das steht von der Belastung her in keinem Verhältnis zu dem, was die Familien durchmachen. Hinzu kommt, dass der Großteil unserer Arbeit weit weg vom Sattel über das ganze Jahr verteilt stattfindet: Wenn wir auf die Menschen und Institution treffen, um den Bedarf auszumachen, wo und wie wir die eingenommenen Spendengelder verteilen. Denn alles was wir tun, machen wir ehrenamtlich, ohne Aufwandsentschädigung oder Fahrtkostenpauschale – auch das Benzin zahlen wir selbst. Wir haben keine großen Büroräume oder viele Angestellte, aber wir haben ein kleines Lager und mehr Unterstützung, als wir uns je erhofft haben. Das zeigt, dass es nicht viel braucht, um etwas zu erreichen. Und auch wenn es viel Arbeit ist, die man reinsteckt, fällt Sie einem doch unheimlich leicht: Denn man bekommt so viel mehr zurück.

21grad: Wie entscheiden Sie, wer von der Glückstour bedacht wird?

Wir besuchen häufig onkologische Abteilungen und Hospize und sprechen viel mit den Kindern und den betroffenen Familien. So versuchen wir, die persönlichen Umstände besser zu verstehen und dort zu unterstützen, wo es noch keinen Topf gibt und bisher wenig Hilfe ankommt. Denn so eine Erkrankung stellt oft nicht nur das Leben der Patienten, sondern auch ihrer Angehörigen völlig auf den Kopf. Zum Beispiel haben wir für Lia, ein Mädchen mit einer seltenen Muskelerkrankung, ein Lasten-E-Bike umbauen lassen, damit sie mal mit ihrer Mutter unterwegs sein kann. Oft geht es auch um teure Medikamente, die mehrere tausend Euro im Jahr kosten und von den Krankenkassen nicht übernommen werden. In solchen Fällen prüfen wir ganz genau, warum das so ist und ob von unserer Seite nicht doch geholfen werden kann. Manchmal sind es aber auch ganz simple Dinge, wie ein Tablet für Videoanrufe, damit die Kinder im Krankenhaus während der Pandemie ihre Eltern trotz Besuchsverbot sehen können.

21grad: Diese ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen Sie mittlerweile seit 2005, als Sie die Glückstour ins Leben gerufen haben. Wie kam es denn dazu, dass Sie sich damals sagten: „Jetzt müssen wir selbst tätig werden?“

Glückstour PosterIch war 2005 mit zwei Kollegen, Werner Klein und Klaus Bewer, auf einer Handwerksinnung, als wir von der Krebserkrankung der Tochter eines weiteren Kollegen erfuhren. Dieser Kollege hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den kleinen Verein „Kaminkehrer helfen krebskranken Kindern“ gegründet. Doch es fehlte noch an finanzieller und öffentlicher Unterstützung. Daher hatten Werner, Klaus und ich dann die Idee, jeder 500 Euro in die Hand zu nehmen und mit dem Fahrrad zum Bundesverbandstag der Schornsteinfeger nach Braunschweig zu fahren, um dort auf die Situation aufmerksam zu machen. Da wir allerdings nach Braunschweig nur einen Tag gefahren wären, haben wir die Idee gleich ausgeweitet. So wurde die Glückstour als einwöchige Radtour durch Deutschland geboren und viele weitere Kollegen mobilisiert. Schlussendlich hatten sich 30 motivierte Radler und Spender gefunden, die ihrerseits kräftig die Werbetrommel rührten. So konnten wir bereits mit der ersten Fahrt 2006 rund 46.000 Euro aufbringen! Das war eine Hausnummer, die uns einerseits gezeigt, wie viele Menschen den Wunsch haben zu helfen, aber auch wie einfach es ist, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Die erste Glückstour war daher nur der Anfang – bis heute haben wir mit der Glückstour über zweieinhalb Millionen Euro gesammelt und verteilt.

21grad: Dieser Einsatz fand schließlich auch öffentliche Anerkennung, als Bundespräsident Joachim Gauck Sie 2016 auf dem Schloss Bellevue stellvertretend für alle Glücksradler würdigte. 2017 wurde die Glückstour mit dem zweiten Platz des „Goldenen Bulli“ ausgezeichnet, einem Award für Handwerksbetriebe mit außerordentlichem sozialem Engagement. Im vergangenen Jahr prämierte auch das Publikum des Deutschen Engagementpreis die Glückstour. Wie wichtig sind solche Anerkennungen für Ihre Arbeit?

Natürlich ist das immer eine schöne Bestätigung für das, was wir tun. Und es hilft uns, noch bekannter zu werden und somit mehr Unterstützer zu gewinnen. Denn davon lebt die Aktion. Die Glückstour – das sind wir alle. Nicht nur wir vom Orga-Team, auch alle Radler, alle Spendengeber, alle Freiwilligen, die uns mit professioneller Hilfe in den Sozialen Medien oder im Dschungel des Gesundheitswesens unterstützen und natürlich der ganze Schornsteinfegerverband. Ich bin froh, dass unser Handwerk hier so gut organisiert und vernetzt ist. Denn ich sehe ja, wie viel wir zusammen erreichen und bewegen können. Gleichzeitig motiviert uns das immer weiter zu machen. Und ich habe bei jeder Spendenübergabe das Gefühl: „Ja, das macht hundertprozentig Sinn.“

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Glückstour: radeln für den guten Zweck

Der Verein „Glückstour – Schornsteinfeger helfen krebskranken Kindern e.V.“ veranstaltet jedes Jahr eine Spendenfahrt mit dem Fahrrad durch Deutschland und sammelt Spenden für Initiativen, Elternvereine, Kliniken und Forschungsprojekte. Über sieben Tage legen die Radler dafür mehrere hundert Kilometer zurück und treffen auf private und unternehmerische Spendengeber, öffentliche Hilfsorganisationen und betroffene Familien. Bis heute wurden mehr als 2,5 Millionen Euro Spenden eingefahren und verteilt.

 

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