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Wie Münster zur Fahrradstadt wurde

 

Was für Neuseeland die Schafe, das sind für Münster die Drahtesel. Ob alt oder jung – es wird geradelt und das nicht zu knapp. Darum gibt es in dem westfälischen Städtchen heute mehr Fahrräder als Einwohner. Dass Münster zur Fahrradhauptstadt wurde, ist jedoch kein Zufall: Die Stadtväter trafen einst eine bemerkenswerte Entscheidung.

Münster und die Fahrräder. Das ist wie Duisburg und Schimanski, München und das Oktoberfest. Die ‚Leeze’, wie das Zweirad hier heißt, trägt einen großen Teil zu dem entspannten Charme bei, für den Münster so beliebt ist. Ganz nebenbei erhöht der Radverkehr enorm die Lebensqualität: Mehr Nachhaltigkeit, weniger Abgase und Autolärm. Kein Wunder, dass Münster 1997 und 2006 den Titel „Bundeshauptstadt im Klimaschutz“ erhielt.

Münster: Mehr Räder als Einwohner

Nicht nur die vielen Studenten radeln durch den historischen Stadtkern, auch die Polizeistreife, Brautpaare und die Bürgermeisterin. Dabei reicht den Münsteranern ein Fahrrad meist nicht aus. Im Durchschnitt besitzen sie 1,67 Fahrräder pro Kopf. Das sind rund eine halbe Million Drahtesel auf Münsters Straßen. Bei so vielen Rädern braucht es auch geschickte Schrauber: In mehr als hundert Fahrradläden und -werkstätten werden Ketten geölt, Schläuche geflickt und Bremsen nachgezogen.

Vor 200 Jahren: Knubel eröffnet ein Fahrradgeschäft

Das erste Fahrradgeschäft der Stadt eröffnete bereits vor über 200 Jahren. „Velocipede aller Systeme zu billigsten Preisen“ war im April 1886 in einer Zeitungsanzeige zu lesen. So warb Anton Knubel für seinen neuen Laden. Dort gab es nicht nur Räder, sondern auch eine dazugehörige Fahrschule, in der die Kunden das Rad fahren erlernen konnten. Später stieg sein Bruder Bernard in das Radgeschäft ein. Zuvor hatte Bernard als Radrennfahrer an den ersten Olympischen Sommerspielen der Neuzeit 1896 in Athen teilgenommen. Das Geschwisterpaar soll später die ersten Radrennen in Münster organisiert haben.

Schnell zogen andere Geschäftsleute nach und das Rad gewann nach und nach an Popularität. Den wirklichen Durchbruch erlebte das Fahrrad jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wiederaufbau: Münster bleibt seinen Wurzeln treu

Münster war nach dem Zweiten Weltkrieg so zerstört wie kaum eine andere deutsche Stadt. Die Altstadt musste fast vollständig rekonstruiert werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Auto seinen Siegeszug bereits angetreten. Dem trug man andernorts mit großzügigen Verkehrstrassen Rechnung. In Münster entschied man sich für einen anderen Weg: Die Stadt sollte im Kern so wiederaufgebaut werden, wie sie vor dem Krieg existierte.

Münster dreht ein ganz großes Rad

©muenster.de

Von dem Wiederaufbau im traditionellen Baustil mit behutsamen modernen Impulsen profitierten in erster Linie die Radfahrer. Während sich die Autos auf den engen Straßen des mittelalterlichen Grundrisses stauten, zogen die Drahtesel ungehindert vorbei. Ein weiterer Vorteil: Münster ist flach und überschaubar. Eine wichtige Vorrausetzung für Radfahrer.

Über die Jahre wurde der Radverkehr in Münster gezielt gefördert. Denn schon in den 1960er Jahren hatte man die Erkenntnis, dass Münster dem zukünftigen Autoverkehr nicht gewachsen sein würde. Das Fahrrad bot einen Ausweg aus der Misere. Darum ergriff die Stadt viele verschiedene Maßnahmen, die den Radverkehr förderten. Darunter der Ausbau eines umfangreichen Radwegenetzes. Insgesamt strampelt man heute auf etwa 300 km Radwegen quer durch Münster.

Braucht Münster neue Impulse?

Neben Raddiebstählen ist die erhöhte Unfallgefahr ein Wermutstropfen in der Erfolgsgeschichte der Fahrradhauptstadt. 2015 zählte die Polizei Münster 9.735 Radunfälle. Gerade das viel gelobte Radwegenetz steht immer wieder in der Kritik. Denn wie in vielen Städten baute man überwiegend Bordsteinradwege, für die ein Teil des Gehweges abgezwackt wird. Radfahrer fühlen sich hier zwar sicherer, so die Umfragen, die Unfallstatistik spiegelt jedoch ein anderes Bild wider. Denn Radler verunglücken gerade auf den vermeintlich sicheren Bordsteinradwegen, so der Stand der Verkehrsforschung: Autofahrer übersehen Fahrradfahrer auf Bordsteinradwegen leicht. Sie befinden sich hier im Toten Winkel oder hinter Parkreihen. So kann eine unbedacht geöffnete Autotür für einen Radfahrer schlimm enden.

Dessen ungeachtet steigen die Münsteraner weiterhin täglich auf ihre Leeze. Fast 40 Prozent der täglichen Wegstrecke bewältigen sie mit dem Fahrrad. Geht es nach dem Bürgermeister, soll das sogar zukünftig auf 50 Prozent anwachsen. Schließlich ist das Rad immer noch das platzsparendste, leiseste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Zudem sollen die Radien der Radpendler von acht auf fünfzehn bis zwanzig Kilometer erhöht werden.

Mit dem Rad in die Zukunft

Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, hat Münster gemeinsam mit Bürgern und Experten das „Radverkehrskonzept Münster 2025“ auf den Weg gebracht. Darin schaut man auch auf andere Fahrradhochburgen, wie Kopenhagen wo es deutlich breitere und damit sicherere Radwege gibt (Lest hierzu auch unseren Blogartikel “7 Dinge, die wir von Kopenhagen lernen können“. Auch Radschnellwege wie in London und Madrid, wo die Radfahrer in der Mitte der Hauptstraße fahren, sind für Münster denkbar. Geplant ist außerdem ein Serviceangebot mit witterungsgeschützten Fahrradabstellmöglichkeiten, Luftpumpenstationen und „E-Bike-Tankstellen“ im Stadtkern.

In der Fahrradhauptstadt Münster wird also auch in Zukunft weiterhin fleißig geradelt. Für Besucher, die vielleicht etwas gemächlicher in die Pedale treten möchte, bieten sich Radtouren ins westfälische Umland an. Im Münsterland kann man auf sagenhaften 4.500 km Radwanderwegen die abwechslungsreichen Fluss- und Wiesenlandschaften von Warendorf bis Borken erkunden. Und unterwegs trifft man neben all den flinken Drahteseln sogar auf ein paar gemütliche Schafe.

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6 Kommentare

Biliboy bra bro

LOL IS SIND COOL

Olli

Wäre es möglich Quellen zu liefern ?

Mersmann

Von wann ist dieser Artikel ?

Big mama

Zu lang

Gerd Hilger

Münster- bravo.
Nur weiter so !
Stellt Euren Tatort komplett auf Fahrrad um

Erika Heinrich

Ich bin auch schon durch eine direkt vor mir geöffnete Autotür schwer mit dem Fahrrad gestürzt. Es ist mir unbegreiflich, dass hier in Deutschland immer noch nicht der anderswo eingeübte Griff mit der linken Hand nach der Tür zum Standard Pflicht gemacht wird. Aber ausser ein paar wohlfeilen Worten und punktuellen Aktionen bleibt in Deutschland das Auto wohl noch lange die “heilige Kuh”. Zuletzt wurde in Bonn ein Parkhaus gebaut, in dem man auch Fahrräder abstellen kann. Aber: dort geht man durch einen Hintereingang mit rechtem Winkel und muss dann das Rad über drei Rampen nach oben schieben – Fahrradfahren nicht nur verboten, sondern gar nicht möglich.“ Zudem liegen die Fahrradparkplätze so weit wie möglich von Gleis 1 entfernt. Radfahrer müssen erst das Parkdeck für Autos durchqueren, erreichen dann ein Treppenhaus nach unten, verlassen anschließend das Parkhaus und müssen um das Gebäude herum gehen, um die neue Brücke zu Gleis 1 zu erreichen.
„Warum der ADFC bei der Planung zu keinem Zeitpunkt eingebunden wurde, ist uns ein absolutes Rätsel“, kritisiert der verkehrspolitische Sprecher des ADFC in Bonn. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

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